Abenteuer Auslandsjob: freier Journalist in New York

Als freier Journalist in New York leben und spannende Geschichten schreiben: ein Traumjob? Auf jeden Fall. Ein leichtes Unterfangen? Garantiert nicht. Zur Nachahmung empfohlen? Kommt drauf an. Sebastian Moll zieht nach neun Jahren Bilanz.

Es ist jetzt beinahe 13 Jahre her, dass ich in einer Münchner Buchhandlung ein Bändchen mit dem Titel "Elvis ist tot" von dem Süddeutsche Zeitung-Autor Gerhard Waldherr aus dem Regal zog.
Ich war damals Sportreporter, hatte mein Auskommen, mein Job gefiel mir im Großen und Ganzen. Mir ging es gut.

Von Bettlern und Brokern, Künstlern und Industriebossen

Doch Waldherr brachte mich auf Gedanken. "Elvis ist tot" war eine Reportagesammlung aus den USA. Waldherr erzählte von Sweatshops in der New Yorker Chinatown, wo illegal eingeschmuggelte Kantonesen um ihr Überleben kämpften. Er berichtete von den letzten Sardinenfischern von Long Island, er stellte mir dem sadistischen Sherriff von Dade County vor und die fanatischen Fans des Football Teams Greenbay Packers. Waldherr führte mich in ein Amerika jenseits der Klischees, eines das grotesk und verrückt und doch unendlich interessant ist.

Eine Amerika-Affinität hatte ich schon immer, ich hatte bereits vor vielen Jahren dort studiert und so weckte die Lektüre von "Elvis ist tot" bei mir den Wunsch, auch solche Geschichten zu erzählen. In New York mit Bettlern und Brokern zu sprechen, mit Künstlern und Industriebossen, das erschien mir plötzlich um so vieles interessanter, als zum Tausendsten Mal belanglose Zitate von stotternden, pickel gesichtigen Radrennfahrern aufzuschreiben.

New York: die Stadt mit Millionen Geschichten

Mittlerweile lebe ich seit fast neun Jahren als freier Autor in New York. Ich habe den Entschluss nie bereut. Für einen freien Journalisten, ja für jeden Reporter, ist New York nach wie vor ein Schlaraffenland. Es ist tatsächlich die sprichwörtliche Stadt mit den acht Millionen Geschichten. Der Stoff geht einem nie aus und jede neue Recherche öffnet eine Tür zu einer neuen, aufregenden und bereichernden Welt. Allerdings habe ich mir das Überleben als Schreiber in dieser Stadt um vieles einfacher vorgestellt.

Das liegt zweifellos auch daran, dass ich die Sache genau so angegangen bin, wie man es eigentlich nicht tun sollte. Ich bin damals, im Oktober 2002 mit nichts nach New York gekommen, als mit ein paar Kontakten, meiner Berufserfahrung, einer einigermaßen klaren Vorstellung des deutschen Print-Medienmarktes sowie einer gehörigen Portion Selbstvertrauen. Aufträge oder gar einen Korrespondentenvertag hatte ich nicht.

"Mein bester Tipp: Überlegt euch das genau"

Mit naivem Optimismus alleine kann man allerdings in New York nicht überleben. Dutzende deutscher Reporter kommen jährlich genau so hierher. Die meisten von ihnen verschwinden genauso schnell wieder, wie sie gekommen sind. Immer wieder bekomme ich Anrufe von jungen enthusiastischen Kollegen, die Tipps haben wollen. Mein bester Tipp an sie – überlegt Euch das genau.

Aber fangen wir erst einmal mit dem Positiven an. An gut recherchierten Features aus New York ist auf dem deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt immer Platz, auch für Neulinge. Ich erinnere mich genau an meine erste Reportage. Ich habe damals von den Weihnachtsbaumverkäufern erzählt, die zum Thanksgiving-Tag Ende November wie aus dem Nichts auf den Straßen New Yorks auftauchen und dann am Heiligabend ebenso mysteriös wieder verschwinden. Ich habe erzählt, wo sie herkommen, wie sie ihr Geschäft machen, wie sie auf den Straßen von New York im Winter überleben. Es war eine hübsche Feiertagsgeschichte, sie lief in einer bekannten Tageszeitung über eine ganze Seite. Ein schöner Anfangserfolg.

Mit der Miete kommt der erste Schock

Doch irgendwann setzte dann der Schock der Realität ein. Für ein solches Feature bekommt man, wenn man viel Glück hat 350 Euro, inklusive Fotos. Arbeitsaufwand: cirac drei Tage. Ein Zimmer zur Miete in New York unter 1200 Dollar zu finden ist aber unmöglich. Und alles andere ist auch meist doppelt so teuer, wie in jeder deutschen Großstadt.

Um halbwegs bequem in New York leben zu können braucht man etwa 5000 Dollar im Monat. Und selbst wenn man zehn solcher Features produzieren könnte, müsste man sie erst einmal an den Mann bringen. Man braucht Zeit, die Themen zu finden, an- zu recherchieren und anzubieten. Im Grunde ist das nicht machbar.

Die Konkurrenz ist groß und gut

Auch andere Dinge tragen schnell selbst beim engagiertesten Neuankömmling zur raschen Ernüchterung bei. New York ist für Journalisten ein hart umkämpftes Pflaster. Es wimmelt nur so vor deutschen Reportern, festen Korrespondenten und Glücksrittern. Viele von ihnen sind gut, haben Energie und Durchsetzungsvermögen. Und weil das Überleben hier so hart ist, entwickeln die meisten auch bald einen ausgeprägten Killerinstinkt.

Durch dieses Überangebot an guten Geschichten aus New York können es sich die Redaktionen leisten, sehr wählerisch zu sein. Das hat zur Folge, dass wirklich nur die ganz besondere oder die ganz besonders gut gemachte Geschichte eine Chance hat. Solche Geschichten lassen sich aber nicht am Fließband produzieren. Bei den branchenüblichen Tarifen im Zeitungsbereich wird das Überleben mit Features deshalb praktisch unmöglich.

"Für deutsche Medien interessiert sich hier kein Schwein"

Der Zeitschriftenmarkt ist noch schwieriger. Die Publikumszeitschriften haben eigene Büros in New York, von Außen dort hinein zu rutschen ist kaum möglich. Bei allen anderen Magazinen ist alleine die Entwicklung einer besonderen Idee, die aus der Flut an Themenangeboten aus New York heraus sticht, so aufwändig, dass es nicht lohnt. Mit viel Beharrlichkeit gelingt es möglicherweise stabile Kontakte aufzubauen, die sich dann in regelmäßige Veröffentlichungen umwandeln lassen. Das kann aber länger dauern, als das Ersparte in New York ausreicht.

Noch etwas, an das man zunächst nicht denkt, macht das Leben als deutscher Journalist in New York besonders schwer. An Quellen heran zu kommen ist um ein vielfaches schwieriger als in Deutschland. Um es brutal auszudrücken – für deutsche Medien interessiert sich in den USA kein Schwein. Es bringt Amerikanern schlichtweg nichts, mit einer deutschen Tageszeitung zu sprechen und in New York hat niemand Zeit zu verschenken.

Die Gefahr, Kunden zu enttäuschen

In der überwiegenden Zahl der Fälle wird man von PR-Leuten abgewimmelt, wenn einen überhaupt jemand zurück ruft. Ein Interview oder ein Termin kommt nur zustande, wenn das Gegenüber ein spezielles Interesse an Deutschland hat, so wie etwa ein Schriftsteller, der dort sein Buch verkaufen will; oder, wenn der gewünschte Gesprächspartner aus einer Laune heraus gerade Lust hat, sich mit einem Deutschen zu unterhalten.

Leider begreifen die Redaktionen in Deutschland oft nicht, wie wenig Gewicht ihre Publikationen hier in New York haben und haben deshalb wenig Verständnis dafür, wie schwer es ist, an eigenes Material heran zu kommen. Man läuft deshalb ständig Gefahr, seine Kunden zu enttäuschen.

Nur wer lange durchhält, hat Erfolg

Trotz alle dem habe ich es über die Jahre geschafft, mich hier in New York fest zu beißen. Aber es hat lange gedauert und einiges an Zähigkeit erfordert. Alleine ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche der acht Millionen Themen aus New York für welche deutschen Kunden interessant sind, dauert Monate, wenn nicht Jahre. Genau so lange dauert es in New York ein Netz an Quellen und Informanden aufzubauen, die einem einen Vorsprung vor den Kollegen in Deutschland verschaffen, die im Internetzeitalter die New York Times zur gleichen Zeit lesen können, wie der Korrespondent.

Auch stabile Beziehungen mit Redakteuren in Deutschland aufzubauen, geht nicht von heute auf morgen. Man muss über viele Monate verlässlich, schnell und in guter Qualität Texte anbieten. Erst dann vertraut das Gegenüber in Deutschland darauf, dass man kompetent und zuverlässig ist und nicht einer der vielen, die aus New York mal etwas anbieten und dann wieder verschwinden.

Aber es gibt sie doch, die großartigen Momente

Ein Großteil der Arbeit hier ist zudem weit weniger romantisch, als man sich das in einem Münchner Cafe bei der Lektüre von Gerhard Waldherr so vorgestellt hat. vielleicht so vorstellt. Viel Arbeit ist Schreibtischarbeit und sie findet wegen der Zeitverschiebung häufig in den frühen Morgenstunden statt. Man bringt deutlich mehr als die Hälfte seiner Zeit damit zu, amerikanische Nachrichtenquellen zu sondieren und zusammenzufassen und im günstigsten Fall einen eigenen Blickwinkel oder ein eigenes Telefoninterview hinzu zu fügen.

Aber es gibt auch immer wieder die New York Momente, derentwegen man hier her gekommen ist und derentwegen es sich lohnt. So war ich in der vorvergangenen Woche für eine Reportage über Harlem in einem schwarzen Gottesdienst und bei einem Salon schwarzer Intellektueller; ich habe einen Tag in einem nach Schweiß müffelnden Box-Gym in Brooklyn zugebracht, um zu sondieren, warum es in den USA keine großen Schwergewichtskämpfer mehr gibt. Zwischendurch war ich bei einer Ausstellungseröffnung am Metropolitan Museum und habe bei einer Filmpremiere den Regisseur interviewt.

Bunter Reporteralltag

Einen solchen bunten Reporteralltag hat man anderswo in der Welt wohl nur selten. Wenn man schon lange hier ist, vergisst man manchmal, was für ein Privileg das ist. Immer wieder einmal hat man aber solche Momente, in denen man sich vergegenwärtigt, was für ein Leben man hier führen darf. Mir legt sich dann oft ein breites Grinsen auf das Gesicht.

(Sebastian Moll)

Sebastian Moll
lebt seit 10 Jahren als Freier Journalist in New York. Er berichtet für deutsche Tageszeitungen und Magazine über ein breites Spektrum an Themen aus der amerikanischen Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

www.sebastianmoll.de