Indien: Wer höflich sein will, nimmt sich Zeit

Wer in Indien Erfolg im Geschäftsleben haben will, braucht harte Nerven. Inder haben vom Leben und von Geschäftsbeziehungen andere Vorstellungen.

Auf einen Kulturunterschied werden österreichische Geschäftspartner bereits bei der Kontaktaufnahme stoßen. Wer Indern eine E-Mail schreibt, der wird in 99 Prozent aller Fälle keine Antwort erhalten. Dirk Matter, Leiter der Deutsch-Indischen Handelskammer in Düsseldorf, kann davon ein Lied singen. "Viele Europäer scheitern beim ersten Schritt", sagt der Indienexperte. Der Grund ist, dass ein Gros der Inder extrem beziehungsorientiert ist.

Sich persönlich vorstellen

Und wer denkt, er könne Adresslisten aufkaufen und schriftlich einen Geschäftskontakt aufbauen, der irrt. "Es ist meist völlig egal, ob man einem Inder etwas verkaufen möchte oder sogar etwas von ihm kaufen will", sagt Matter. Wer in Indien höflich sein möchte und erfolgreich vorgehen will, muss zuerst in den Beziehungsaufbau investieren. Das ist gar nicht so schwer. Man sollte nicht nur schriftlich vorgehen. Besser ist es, sich folgende Fragen zu stellen: Kenne ich einen Inder, der mir helfen könnte? Findet demnächst eine Messe statt, bei der ich mein Unternehmen und mich als Mensch vorstellen könnte? Sollte ich an einer Handelsdelegation teilnehmen?

All dies sind Wege, auf denen man mit Indern in Kontakt treten kann. Wer auf diese Weise mit einem Inder zusammentrifft, darf allerdings nie gleich zum Geschäftlichen kommen. Sich kennen zu lernen, heißt in Indien nicht nur, sich einmal gesehen zu haben. Zum Kontaktaufbau gehören nun Telefonate und Treffen. In den Telefonaten sollte man stets etwas von sich preisgeben und sich zugleich für den indischen Geschäftspartner interessieren. Als ob Adolph Freiherr von Knigge seine Benimmfibel ganz für das Indiengeschäft geschrieben hätte, bemerkte er schon damals trefflich: "Interessiere Dich für andere, wenn Du willst, dass andere sich für dich interessieren sollen." Erst bei dem zweiten Treffen oder Besuch sollte man in Indien zum Kern des Geschäfts kommen. Wichtig ist, bestehende Kontakte zu pflegen. Eine Geschäftsfreundschaft dauert dann in der Regel mehrere Jahre an.

Kommunikation: Indirekte Sprache

Unterschiede in der Klarheit der Kommunikation führen zwischen Indern und Österreichern immer wieder zu Missverständnissen und ernsthaften Problemen. "In Indien gehört es sich nicht, Kritik klar zu äußern", sagt Mohammed Rehan, der in München einen Deutsch-Indischen Business-Stammtisch betreibt. Konkret heißt dies: Wer unzufrieden ist, sollte dies nie direkt sagen - sondern fragen, ob etwas nicht anders gemacht werden könnte. Folge dieser indirekten Kommunikation ist auch, dass ein "ja" nicht automatisch ein "ja" bedeutet und dass man ein "nein" niemals mit einem "nein" ausdrückt - sondern nach österreichischen Verhältnissen um den heißen Brei redet. Wie in anderen Ländern kann es in Indien vorkommen, dass indische Geschäftspartner Angebote zunächst einmal ablehnen. Das sollte man stets beachten und einen indischen Geschäftspartner dennoch nicht verdursten lassen, auch wenn er die Frage nach einem Getränk beim ersten Mal abgelehnt hat.

Geschäftskultur: Aufprall verschiedener Welten

Gestern, heute, morgen: Dem Inder ist das egal. Das Wort "kal" steht nicht nur für gestern, sondern auch für morgen. Kal heißt vorgestern - und übermorgen. Nicht nur der Unterschied zwischen Arm und Reich oder zwischen Alt und Neu löst bei vielen Indienreisenden einen Kulturschock aus. Auch beim Thema Pünktlichkeit werden westliche Geschäftsleute auf eine harte Probe gestellt. Dass in Spanien oder Süditalien die Uhren langsamer gehen, daran haben sich viele terminfixierten Geschäftsleute bereits gewöhnt. Doch in Indien kann in Sachen Zeitempfinden von mediterraner Gelassenheit keine Rede mehr sein.

Indern ist unsere Bedeutung von Zeit völlig fremd. Anders als in Österreich läuft die Zeit nicht ab. Sie wiederholt sich. Zurückzuführen ist diese Ansicht auf den Hinduismus. Hindus glauben daran, dass sich Leben und Tod im Kreislauf wiederholen. Nach dem Leben kommt die Wiedergeburt. Die Auswirkungen auf das Leben und das Geschäftsleben sind für Österreicher kaum nachvollziehbar. Termine werden fast nie eingehalten. Wer mit Behörden verhandeln muss, kann sich auf Wartezeiten von mehreren Stunden gefasst machen. "Da Inder davon ausgehen, dass sie mehrere Leben haben, haben sie auch nicht das Gefühl, in einem Leben alles erleben und erzwingen zu müssen", sagt Dirk Matter. Man sollte vor Geschäftsreisen versuchen, diese Einstellung von Zeit zu verstehen und zu respektieren. Aufregen bringt nichts.

Tischkultur und Dresscode

"Wenn die Nase läuft, sollte sie nie am Tisch geschnäuzt werden. Und schon gar nicht lautstark", nennt Rehan einen Fehltritt, den Inder nicht mögen. Wem die Nase läuft, der darf sie leise abtupfen. Ebenfalls von mangelnden Tischmanieren zeugt, mit der linken (unreinen) Hand zu essen. Wenn zu Tisch die Hände benutzt werden, dann immer nur die rechte. Selbst Naan-Brot kann mit nur einer Hand (der rechten) gebrochen werden. Gegessen selbst wird mit geschlossenem Mund. Auch wenn einige ältere Inder gerne schmatzen und rülpsen, muss kein Geschäftspartner die Zufriedenheit mit der Speise dadurch kundtun, indem er andere lautstark am Vertilgungsprozess teilhaben lässt. Bei der Auswahl und Zubereitung der Speisen ist Vorsicht angebracht. Falls man indische Gäste empfängt, sollte man bei der Essensauswahl unbedingt an die Religion denken. 80,5 Prozent aller Inder sind Hindus, 13,4 Prozent sind Muslime. Mit großer Wahrscheinlichkeit essen die Gäste also kein Fleisch.

Der Dresscode ist in Indien einfach: In den Sommermonaten sind Stoffhose, Hemd und Krawatte erlaubt, sonst dominieren Anzug, Hemd und Krawatte. Frauen sollten sich mit leichten Stoffen bekleiden und wenig Haut zeigen.

(Kai Oppel,2007)

Weiterführende Informationen:

Buchtipp:

Kai Oppel: "Business Knigge international", Haufe Verlag 2006, 192 Seiten, broschiert, 19,80 Euro. In dem Werk beleuchtet der Autor Verhaltensregeln für elf Länder und geht auf typische Missverständnisse ein.