Kranke Firmen: Der Mutter-Komplex
Böses Erwachen für den Manager Peter Müller: Über Nacht verwandelt er sich zur Frau, und plötzlich lahmt seine Karriere. Diese Story erzählt Martin Wehrle in seinem neuen Buch Wir bringen drei Interviews aus dem Buch, diesmal: Warum haben es (angehende) Mütter so verdammt schwer? Und welche Tipps helfen weiter?
Von Martin Wehrle
Herr Wehrle, Sie schauen hinter die Kulissen der Firmen, mal ehrlich: Welchen Ruf genießen berufstätige Mütter?
Wehrle: Das kommt drauf an, wo Sie nachfragen. Moderne Firmen haben erkannt: Mutter-Sein ist die beste Management-Schulung. Mütter trainieren in ihrem Alltag, Menschen zu führen, denn Erziehen heißt leiten. Mütter trainieren, ein Budget zu verantworten, denn jeder Haushalt verlangt Wirtschaften. Und Mütter trainieren, Prioritäten zu setzen und zu organisieren, denn nur so lässt sich der kleine Betrieb namens „Familie“ leiten.
Sind sich die Mütter denn bewusst, dass sie mit diesem Pfund wuchern können?
Wehrle: Im Gegenteil! Nur eine von 25 Müttern kommt beim Bewerben auf die Idee, in ihren Unterlagen hervorzuheben, dass ihre Familienrolle sie fürs Management prädestiniert. Die anderen 24 entschuldigen sich nahezu dafür, dass sie ihr Arbeitsleben unterbrochen und ein Kind zur Welt gebracht haben. Damit gießen sie Wasser auf die Mühle der Vorurteile.
Mit welchen Vorurteilen haben Mütter denn in den weniger modernen Firmen zu kämpfen?
Wehrle: Ihre Entscheidung für ein Kind wird als Entscheidung gegen eine Karriere gewertet. Deshalb passiert es oft, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in der Hierarchie eine Rutschfahrt nach unten erleben: Vorher hatten sie noch eine verantwortliche Position, danach werden sie als Zuarbeiterinnen eingespannt, oft in Teilzeit. Jede zweite berufstätige Frau arbeitet unter 32 Stunden pro Woche, aber nur jeder zehnte Mann.
Dieses Interview ist ein bearbeiteter Auszug aus Martin Wehrles neuem Buch: „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?! – Warum das Berufsleben einer Frau für jeden Mann ein Skandal wäre.“ (Mosaik, 2014).
Sie empfehlen Müttern, gleich wieder Vollzeit einzusteigen?
Wehrle: Ich will nur vor zwei Fallen warnen. Erstens: Viele Mütter steigen mit 50 Prozent des alten Gehaltes wieder ein, bekommen aber 100 Prozent der alten Arbeit auf den Tisch gepackt. Was hilft eine Teilzeit-Stelle, wenn nur die Arbeitszeit, nicht aber die Arbeitsmenge schrumpft?
Und die zweite Falle?
Wehrle: Viele Unternehmen pflegen noch immer eine Sitzfleisch-Kultur: Je mehr Zeit einer in der Firma verbringt, desto höher steht er im Kurs. Reduzierte Arbeitszeiten führen zu reduziertem Ansehen. Die Behauptung, dass sich eine Führungsfunktion nicht mit Teilzeit-Arbeit verträgt, wird von 77 Prozent der männlichen Führungskräfte geteilt, aber nur etwa der Hälfte der weiblichen.
Kommt es denn nur auf Arbeitszeit an?
Wehrle: Gewiss nicht! Wer in drei, sechs oder neun Stunden seine Projekte voranbringt, wie es Frauen und gerade Müttern oft gelingt, ist der mit Abstand bessere Manager als einer, der am Ende eines 14-Stunden-Tags nur einen breiten Hintern-Abdruck in seinem Chefsessel hinterlässt. Aber Teilzeit-Mitarbeiterinnen kommen bei uns im Schnitt auf nur 18,6 Stunden pro Woche, weniger als überall sonst in Europa, bis auf Portugal.
Ist es eigentlich ein internationales Problem, dass Karriere und Kind als Gegensätze verstanden werden?
Wehrle: Versuchen Sie mal, das Wort „Rabenmutter“ ins Englische oder Französische zu übersetzen – unmöglich, weil man dort den Gedanken dahinter nicht versteht. In England lassen sich Mütter schon immer von Nannys unterstützen, in Frankreich haben Ganztagsschulen Tradition. Und die Amerikaner gehen wie selbstverständlich davon aus, dass Erfolg im Beruf für Erfüllung sorgt – und dass gerade erfüllte Frauen gute Mütter sind.
« Nur eine von 25 Müttern kommt beim Bewerben auf die Idee, in ihren Unterlagen hervorzuheben, dass ihre Familienrolle sie fürs Management prädestiniert. »
Bedeutet eine Vollzeit-Arbeit für Mütter nicht zusätzlichen Stress?
Wehrle : Wer zur Arbeit geht, ist laut Studien besser vor einer Depression geschützt. Der US-Psychologe A.H. Maslow schrieb: „Fähigkeiten schreien geradezu danach, eingesetzt zu werden, und sie hören mit ihrem Geschrei erst auf, wenn sie gut eingesetzt sind. Das heißt, Fähigkeiten sind auch Bedürfnisse.“ Viele Fähigkeiten einer Mutter, die sich nur noch um ihr Kind kümmert, bleiben ungenutzt. Das schürt Unzufriedenheit.
Was kann die Politik für Mütter im Beruf tun?
Wehrle: Wir brauchen mehr bezahlbare Kita-Plätze, mehr Ganztagsschulen, mehr flexible Arbeitsstellen. Dagegen gehören Betreuungsgeld und Ehegatten-Splitting abgeschafft. Wir sollten Frauen nicht ermuntern, zu Hause zu bleiben – sondern Voraussetzungen schaffen, unter denen sie Mutterschaft und Arbeit verbinden können. 74 Prozent der Managerinnen sehen Kindertagesstätten als Königsweg, um mehr Frauen in Führung zu bringen. Der Staat muss die Kinderbetreuung nach skandinavischem Vorbild fördern. In Schweden werden 90 Prozent der Kinder unter zwei in kostengünstigen Kitas oder von Tagesmüttern versorgt. In Deutschland aber sind Betreuungsplätze teuer und rar; von 100 Kindern unter zwei werden in den alten Bundesländern nur 23 ganztags betreut.
Was wünschen Sie sich von den Arbeitgebern für Mütter?
Wehrle: Arbeitszeiten, die nicht starr wie Ritterrüstungen sind – und mehr Fantasie bei den Arbeitsmodellen. Was spricht eigentlich dagegen, dass sich zwei Mütter in den ersten Erziehungsjahren einen Führungsjob teilen? Zwei halbe Tag ergeben einen ganzen! Davon profitieren beide Seiten: Die Frauen können Erziehung und Führung verbinden. Und die Firmen bekommen für ein (geteiltes) Gehalt zweifache Erfahrung, zweifache Kompetenz, zweifaches Können – und die Frauen lassen sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder als Vollzeit-Führungskräfte einbinden.
Am Ende noch kurz zur persönlichen Karriereplanung: Wer hat es nach Ihrer Erfahrung leichter – die frühen oder die späten Mütter?
Wehrle: Eindeutig die späten Mütter. Zum einen können sie sich zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr komplett auf ihre Ausbildung und ihre Karriere konzentrieren, wie die Männer auch. Und in dieser Zeit werden die Weichen für eine Laufbahn gestellt. Zum anderen verdienen sie zum Zeitpunkt der Geburt oft schon genug Geld, um sich Hilfe für die Kinderbetreuung oder den Haushalt leisten zu können. Das erleichtert die weitere Karriere.
Und was raten Sie Frauen, die schon mit Anfang 20 ein Kind bekommen haben?
Wehrle : Dass Sie sich um eine erstklassige Qualifikation kümmern. Zum Beispiel kenne ich junge Mütter, die mit Rückendeckung des Partners exzellente Studienleistungen erzielt und promoviert haben. Wer dann mit Anfang oder Mitte 30 in den Beruf strebt, hat gute Chancen; Bildung ist die beste Rampe für einen Spätstart. Am Ende fügen sich die Dinge wieder: Je weiter die Mutter im Beruf kommt, desto selbständiger sind die Kinder schon.
Der Karriereberater Martin Wehrle ist Karriere- und Gehaltscoach. Er berät Mitarbeiter aller DAX-Unternehmen und gehört zu den meist zitierten Karriereexperten in Deutschland. In seiner Hamburger Karriereberater-Akademie leitet er die bundesweit erste Ausbildung zum Karrierecoach.