Kündigung: der perfekte Fluchtplan

Kündigung, richtig gemacht: Die Flucht aus dem Firmen-Irrenhaus gelingt am besten auf leisen Sohlen. Martin Wehrleverrät, wie man Risiken beim Jobwechsel vermeidet.

Tun Sie alles, um Ihre Abgangspläne so lange wie möglich geheim zu halten. Doch wie schaffen Sie das? Welche kleinen Signale müssen Sie unbedingt vermeiden, um die Irrenhaus-Direktoren und die anderen Insassen nicht auf Ihre Fährte zu bringen? Hier ein paar wichtige Hinweise:

Riskantes Zwischenzeugnis

Nehmen wir an, ein Gefängnisinsasse sagte zum Direktor: "Würden Sie mir einen Passierschein für den Ausgang unterschreiben? Nicht, dass ich fliehen wollte. Es geht mir um den fernen Tag meiner Entlassung." Wie glaubwürdig wäre das? Und auf welche Weise würde sich dieser Wunsch auf die Sicherheitsmaßnahmen auswirken?

Dieses Beispiel leuchtet jedem ein. Aber wie kommt es dann, dass immer noch so viele fluchtentschlossene Arbeitnehmer um Zwischenzeugnisse bitten? Genauso gut könnten Sie Ihrem Chef sagen: "Ich hätte gern ein Reiseticket zu einem neuen Arbeitgeber." Oder: "Ich halte dich, Chef, für ein rachsüchtiges Monster. Und weil ich fürchte, dass du mir nach meiner Kündigung eins auswischen willst, halte ich vorher schon mal den Stand meiner Leistung fest."

Den Chef nicht für dumm verkaufen

Und natürlich schwingt auch mit: "Du, Irrenhaus-Direktor, bist ein patentierter Dummkopf – deshalb wirst du mir das Zeugnis ausstellen, aber meine Absicht nicht durchschauen. Ich tarne sie einfach durch einen Satz wie: 'Ich bin jetzt exakt fünf Jahre hier. Deshalb hätte ich gerne ein Zwischenzeugnis.'"

Merke: Ein Irrenhaus, das behandelt wird, als sei es ein Irrenhaus, verhält sich noch irrer. Ich habe schon Dutzende von Zwischenzeugnissen gelesen, gegen die eine Stange Dynamit gar nichts war. Solche Zeugnisse sprechen nicht durch das, was sie sagen, sondern durch das, was sie weglassen – zum Beispiel den Dank am Ende, die Ausführlichkeit und die warme und wertschätzende Tonlage.

Wann ein Zwischenzeugnis sinnvoll ist

Außerdem: Selbst das beste Zwischenzeugnis wird eine Firma, bei der Sie sich bewerben, mit der Nase auf die Einsicht stoßen: Der Haussegen zwischen Ihnen und Ihrem Arbeitgeber hängt schief! Warum sonst wären Sie das Image-Risiko eingegangen, ein Zwischenzeugnis anzufordern? Und kann ein exzellentes Zeugnis nicht auch eine exzellente Heuchelei sein, um einen ungeliebten Mitarbeiter schneller loszuwerden?

Einzige Ausnahme: Wenn es in Ihrer Abteilung eine gravierende Veränderung gibt, etwa einen Wechsel des Vorgesetzten, ist das ein natürlicher Anlass für ein Zwischenzeugnis. Ansonsten rate ich Ihnen: Fügen Sie Ihrer Bewerbung eine A-4-Seite bei, auf der Sie Ihre jetzige Tätigkeit und die größten Erfolge beschreiben. Eine solche Arbeitsplatzbeschreibung erfüllt denselben Zweck wie ein Zwischenzeugnis, bringt Sie aber weder bei Ihrem Irrenhaus noch beim neuen Arbeitgeber in Verlegenheit.

Riskante Urlaubstage

Wer zehn Jahre lang seinen Urlaub immer in Blöcken von mindestens einer Woche genommen hat, womöglich mit einem halben Jahr Vorlauf, wird mit kurzfristigen Urlaubswünschen – je einem Tag, im Abstand weniger Wochen – auch den schlafendsten Hund wecken.

Aber was bleibt Ihnen übrig, um Vorstellungsgespräche führen zu können? Zum Beispiel: Fragen Sie bei Arbeitgebern im Mittelstand, ob Abend- oder Samstagstermine möglich sind – Sie hätten im Moment sehr viel zu tun. Ein solcher Wunsch kommt bei den meisten Firmen gut an, weil er suggeriert: Sogar dann, wenn Sie auf dem Absprung sind, arbeiten Sie noch volle Pulle. Aus diesem Verhalten gegenüber Ihrem alten Arbeitgeber werden immer Schlüsse auf Ihr künftiges Verhalten gezogen.

Ansonsten: Legen Sie sich eine Legende zurecht. Kündigen Sie Ihrem Chef so früh wie möglich an, dass Sie in den nächsten Monaten immer wieder mal einen einzelnen Tag frei nehmen müssen, zur Kinderbetreuung, zur Krankengymnastik, zur Pflege eines kranken Verwandten ...

Sagen Sie, was Sie wollen – nur nicht die Wahrheit!

Riskante Kleidung

Wie sieht die Fluchtkleidung eines Insassen aus? Drei Nummern feiner als seine Anstaltskleidung! Wer plötzlich nicht mehr im Holzfällerhemd zur Arbeit kommt, sondern im Jackett, nicht mehr in den Schlabberlatschen, sondern in polierten Lackschuhen, und sich dann auch noch am frühen Nachmittag auf leisen Sohlen in die Büsche schlägt – der könnte sich auch auf die Stirn schreiben: "Habe ein Date mit dem neuen Arbeitgeber!"

Bei solchen Fluchtansätzen ist die richtige Reihenfolge: Erst das Gelände des Irrenhauses verlassen, dann die Anstaltskleidung wechseln.

Riskante Telefonate

Wenn ein Headhunter (oder ein potenzieller Arbeitgeber) Sie anruft, etwa weil Sie ihm Ihre Unterlagen geschickt haben, sollten Sie dieses Gespräch am Arbeitsplatz ganz schnell beenden und an einem intimeren Ort fortführen. Denn schon ein Wortfetzen, der an das Ohr eines Kollegen dringt, schon Ihre gedämpfte Stimme, ein konspirativer Gesichtsausdruck, ein hastiges Schließen Ihrer Bürotür mit dem Hörer am Ohr können das Gerücht schüren: Da bereitet jemand seine Flucht vor!

Und wenn Sie ein perfekter Schauspieler sind und am Telefon ganz cool auf Allerweltsthemen schwenken? Dann stoßen Sie Ihren Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung vor den Kopf. Denn bei jedem Telefonat mit einem potenziellen Arbeitgeber oder Vermittler gilt: Sie müssen genauso gut wie in einem Vorstellungsgespräch sein.

Je unbemerkter Sie Ihren Fluchtplan schmieden, desto weniger Störfeuer ist zu erwarten. Und desto eher wird Ihre Flucht aus dem Irrenhaus gelingen. Jetzt müssen Sie nur noch herausfinden, wohin Sie eigentlich fliehen wollen. Welche Firma wird Ihnen keinen Irrsinn, dafür berufliche Erfüllung bieten?

Der Karriereberater Martin Wehrle blickte seit Jahren hinter die Fassaden deutscher Unternehmen. In Gesprächen mit Mitarbeitern hat sich ihm ein Bild des Schreckens geboten. Welche Blüten der Irrsinn treibt und wie man als Mitarbeiter damit umgeht, beschreibt Wehrle in seinem neuen Buch "Ich arbeite in einem Irrenhaus".
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