Powernapping: sinnvoll oder Unsinn?

Ein kurzes Nickerchen am Schreibtisch - das wünscht sich fast jeder, doch kaum einer traut sich. Dabei steigern kurze Entspannungsphasen im Büro die Leistung. Das sagen Experten und das beweist die Praxis.

"Powernapping" heißt das Zauberwort, das in vor einigen Jahren aus Amerika nach Deutschland kam. Mit "Leistungsnickerchen" kann man es übersetzen und es verrät viel über Form und Inhalt des Trends: Es ist kurz und steigert nachweislich die Leistungsfähigkeit.

Mit Powernapping den Körper herunterfahren

Zwischen zehn und 30 Minuten dauert das Schläfchen, bei dem es gar nicht in erster Linie um Schlaf geht, wie Professor Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum des Uniklinikums Regensburg sagt: "Das Wichtige am Powernapping ist die Entspannung, das Herunterfahren des Körpers für eine kurze Zeit."

Dies komme dem biologischen Rhythmus des Körpers entgegen. Der Effekt: Wer seinem Körper Ruhe gibt, wenn er sie braucht, ist nach kurzer Zeit wieder fit. Das funktioniert besser als mit Kaffee oder Cola. Diese wirken - wenn überhaupt - nur für sehr kurze Zeit.

Schlafen am Arbeitsplatz ist kein Müßiggang

Seit Zulley 1985 erstmals das Phänomen in Deutschland erforschte, fordert er, seine Erkenntnisse in der Arbeitswelt umzusetzen. "Das ist schwer, denn anders als in Amerika oder Japan, wo derlei Nickerchen normal sind, ist unsere Gesellschaft selbst heute noch von der protestantischen Arbeitsethik geprägt, der zufolge jedweder Schlaf am Tag als Müßiggang gilt."

Dabei geben ihm nahezu alle Unternehmer Recht, wenn er in Vorträgen oder Zeitungsartikeln darauf hinweist, dass Forscher in Experimenten bei ihren Probanden eine bis zu hohe Leistungssteigerung gemessen hätten, wenn diese zuvor 20 Minuten geschlafen hätten.

Powernapping im Praxistest

Doch die Bedenken gegen den Mittagsschlaf sitzen tief, weiß Zulley: "Ein Firmenchef erzählte mir, dass er nach dem Mittagessen eigentlich seine Produktion zugunsten einer Ruhephase seiner Mitarbeiter abstellen könnte, weil in dieser Zeit so viel Ausschuss produziert wird. Er hat es aber nicht gemacht, weil er die öffentliche Kritik fürchtete, dass in seinem Betrieb geschlafen wird."

Das musste auch die Stadtverwaltung Vechta erfahren, die schon im Jahr 2000 ein Gesundheitsförderungsprogramm umgesetzt hat, das auch Powernapping ermöglicht. Der Grund dafür lag in der großen Belastung der Mitarbeiter jener Kommune, die die geringste Verwaltungsquote in Niedersachsen hat, die sich aber dennoch über eine außerordentlich hohe Investitionsrate freuen darf.

Ausgeschlafen: die Stadtverwaltung Vechta

"Da tauchte irgendwann die Grundsatzfrage auf, ob wir mehr Mitarbeiter einstellen oder wissenschaftliche Erkenntnisse für unsere Arbeitsorganisation nutzen wollen", erinnert sich der städtische Pressesprecher Dr. Frank Käthler. Man entschied sich für letzteres - und führte als erste deutsche Kommune Powernapping ein. Mit Erfolg. Noch zehn Jahre später ist der kurze Schlaf am Arbeitsplatz üblich.

Denn in Vechta ist das Feedback der Mitarbeiter positiv: "Sie haben durchweg das Gefühl, dass es ihnen besser als zuvor geht, die Mitarbeiter beobachten sich als belastbarer und auch körperlich frischer", sagt Käthler. "Sonst hätten wir das Projekt längst einschlafen lassen."

Mittagsschlaf: Am besten nicht länger als 30 Minuten

Eigene Schlafzimmer sind nicht notwendig, sagt der Schlafforscher Jürgen Zulley - und rät unter Umständen davon ab. "Dauert der Schlaf nämlich länger als 30 Minuten, kommt der Betreffende in den Tiefschlaf und wechselt nach dem Erwachen in eine Phase der Schlaftrunkenheit." Nach einem zweistündigen Mittagsschlaf bräuchte der Kreislauf weitere zwei Stunden, um die Leistungsspitzen wieder zu erreichen.

Anders beim Powernapping: "Wenn sich der Körper nur zehn bis 20 Minuten entspannt, dann erreicht er danach sofort ein gutes Leistungsniveau, das über Stunden gehalten werden kann", berichtet Zulley. Der Clou dabei: Diese Entspannung ist auch am Schreibtisch möglich und kann eigentlich von jedem Büroangestellten durchgeführt werden - unabhängig davon, ob es in seinem Betrieb ein Powernapping-Programm gibt oder nicht.

"Wichtig ist, dass der Stuhl eine Kopflehne hat, damit man ihn abstützen kann, und dass man selbst in einer entspannten Position sitzt." Mittels besonderer Techniken würde nun der Körper entlastet. "Wer das kann, braucht eigentlich nicht einmal ein dunkles oder leises Zimmer dazu - es reicht, wenn man die Augen schließt", weiß der Experte.

Entspannungstechniken zum Einschlafen

Als Einschlaftechniken bieten sich Yoga, autogenes Training, die Alexandertechnik oder die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen (PME) an. Nicht nur die Stadtverwaltung Vechta plädiert dabei für PME - diese Methode gilt als die einfachste, um eine Tiefenentspannung zu erreichen: Ihr Prinzip beruht darauf, dass eine kurze kräftige Anspannung der Muskulatur zu einer verstärkten Durchblutung führt.

Nach dem Entspannen empfindet man dies als durchströmende Wärme. Während der Übung sollte ruhig und gleichmäßig weitergeatmet werden. Dies gilt vor allem für die Anspannungsphase, die etwa sieben Sekunden dauert und der eine Entspannungsphase von etwa 30 Sekunden folgt.

Hilfsmittel beim Powernappen

Um sicherzugehen, dass der Energieschlaf wirklich nur jene maximal 20 bis 30 Minuten dauert, die nötig sind, haben Fans des Powernapping allerlei Hilfsmittel gefunden. Zum Beispiel hilft es, beim Mittagsschlaf einen Schlüsselbund in die Hand zu nehmen: Mit dem Beginn der Tiefschlafphase entspannen sich die Handmuskeln, der Schlüssel fällt zu Boden, und der Powernapper wird von diesem Geräusch wieder wach. Andere schwören auf die zeitversetzte Wirkung von Kaffee oder Tee. Vor dem Powernapping eine große Tasse davon trinken. Nach einer halben Stunde setzt die Wirkung ein und der Arbeitnehmer ist wieder wach.

Buchtipp:

Jürgen Zulley. Mein Buch vom guten Schlaf.
2010, Goldmann Verlag. 9,95 Euro