Sind Sie reif für den Wechsel?
Woran merkt man, dass es Zeit ist, sich einen Arbeitgeber zu suchen? Welche Anzeichen sprechen dafür, dass Sie sich bewerben und weiterziehen sollten? Machen Sie den Wechselcheck mit Martin Wehrle.
Von Martin Wehrle
Ertappen Sie sich dabei, dass Sie in Jobportalen ungewöhnlich lange surfen? Dass Sie Freunde beneiden, die für andere Firmen arbeiten? Dass Sie sich eine Zukunft ausmalen, in der Ihr jetziger Arbeitgeber nur noch die Rolle des Ex spielt? Dann hat er Sie bereits infiziert, der Wechsel-Virus.
Aber zwischen der Infektion und Ihren ersten Schritten als Bewerber können Monate vergehen, wenn nicht Jahre. Die meisten Menschen durchlaufen an einem Arbeitsplatz drei Phasen: Erst fühlen sie sich überfordert – alles ist neu und scheint anspruchsvoll. Dann fühlen sie sich herausgefordert – allmählich bewältigen sie die Aufgaben. Nun folgt eine Phase der Routine, in der die Dinge wie von alleine laufen. Und schließlich kann das innere Befinden in Frustration umkippen: Dann sitzt man körperlich noch am Arbeitsplatz, ist in Gedanken aber schon ganz weit weg.
Wie gelingt es Ihnen, die Unzufriedenheit mit Ihrer aktuellen Situation zu bemerken, ehe die Frustration Sie packt und womöglich lähmt? Welche kleinen Anzeichen sprechen dafür, dass Sie Ihr Bewerbungs-Bündel packen sollten?
Hier die fünf wichtigsten Signale:
1. Arbeiten Sie noch – oder gähnen Sie schon?
Ist es für Sie noch spannend, zur Arbeit zu gehen? Stehen Sie noch vor Herausforderungen, die Sie wachsen lassen? Bieten Ihre Arbeitstage noch Überraschungen, die Engagement und Kreativität erfordern, statt nur Routine?
Oder ist es so, dass Sie sich in einer ewigen Wiederholungsschleife fühlen? Dass Sie alles, was Sie jetzt tun, in der Vergangenheit schon getan haben? Dass Sie immer vor denselben Aufgaben stehen, dieselben Gesichter sehen, Ihr 08/15-Programm abspulen? Dann wette ich, dass Ihre typische Handbewegung vor einen gähnenden Mund führt.
Vielleicht reden Sie sich ein: "Sei doch froh, dass du deine Arbeit so locker bewältigst – in einem neuen Job wäre das anstrengender!" Aber vergessen Sie nicht: Unterforderung stresst genauso wie Überforderung! Erstarrte Routine lässt Sie seelisch erstarren – es sei denn, Sie suchen sich rechtzeitig eine neue Herausforderung.
2. Immer Ärger mit dem Chef
Wovon hängt es ab, ob sich ein Mensch an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt? Studien sagen: vor allem vom Verhältnis zum direkten Vorgesetzen. Fühlen Sie sich von Ihrem Chef respektiert? Unterstützt er Sie bei Ihrer Arbeit? Gibt er Ihnen die Chance, dass Sie sich entwickeln können, etwa durch spannende Aufgaben und durch Fortbildungen?
Oder beschleicht Sie manchmal das Gefühl: "Der Chef hat ja gar keine Ahnung, was ich hier den ganzen Tag leiste!" Kann es sein, dass Sie selten ein lobendes Wort hören, sehr wohl aber Kritik? Dass Ihr Chef für Sie kaum zu sprechen ist und sich weder für Ihre Wünsche noch für Ihre Probleme interessiert? Und dass Sie das menschliche Klima an Ihrem Arbeitsplatz an ein Gefrierfach erinnert? In diesem Fall liegt es an Ihnen, einen inneren Gefrierbrand zu vermeiden und die Klimazone zu wechseln: Bewerben Sie sich!
3.Wüste am Horizont
Was treibt einen Marathonläufer an? Er möchte seine Fitness verbessern, seine Muskeln aufbauen, seine persönliche Bestzeit übertreffen. Er verfolgt reizvolle Ziele. Die interessante Frage: Gibt es für Sie noch attraktive Perspektiven an Ihrem Arbeitsplatz? Erwarten Sie neue Aufgaben, auf die Sie sich freuen? Kann Ihnen eine Beförderung winken? Oder ist bald ein Auslandseinsatz möglich, der Sie schon immer gereizt hat? Solche Aussichten sind es, die Sie beleben und mit Energie versorgen.
Dagegen stehen die Zeichen auf Wechsel, falls Ihre Perspektive nicht über den Tellerrand des aktuellen Arbeitsplatzes hinausreicht; falls die interessantesten Aufgaben, die Ihr Job bietet, schon hinter Ihnen liegen; und falls alle Sessel, die höher als Ihrer liegen, für Sie nicht erreichbar sind. Eine aufschlussreiche Frage im Jahresgespräch kann sein: "Welche Perspektive hat die Firma mir in den kommenden Jahren zu bieten?" Besteht die Antwort in einem Schulterzucken, heißt das: Sie werden so lange auf der Stelle treten, bis Sie sich durch einen Wechsel befreien!
4. Ausbeuter am Werk
Ein gutes Arbeitsverhältnis ist im Gleichgewicht wie eine Waage: Auf der einen Seite liegen Ihre Arbeitsleistung und Ihr Engagement – auf der anderen Seite liegen Ihr Gehalt und die Verantwortung, die Ihre Firma für Sie übernimmt. Jedes Ungleichgewicht kann Ihre Motivation töten. Einige Firmen überfordern ihre Mitarbeiter. Die Arbeitszeiten gelten nur auf dem Papier. Aufträge dringen per Mail und Handy bis in die Freizeit der Mitarbeiter vor. Und wer krank ist, wird dazu angespornt, möglichst rasch wieder am Arbeitsplatz aufzutauchen. Derweil entwickeln sich die Gehälter aber seitwärts, und Tarifverträge werden nicht selten durch Zeitarbeit, Akkordlohn oder unsittliche Arbeitszeiten umgangen.
Keine Frage: Wer sich ausgebeutet fühlt, wird vom Mitarbeiter zum Gegenarbeiter. Doch so rutschen Sie innerlich in den Sklaven-Status ab – Sie arbeiten nicht nur gegen Ihren Arbeitgeber, sondern vor allem gegen Ihre eigene Überzeugung. Prüfen Sie deshalb, ob die Waage zwischen Ihnen und Ihrer Firma noch im Lot steht.
Wenn nicht, sollten Sie die Sklavenkette sprengen. Per Bewerbung.
5. No future!
Niemand kennt eine Firma besser als die eigenen Mitarbeiter. Deshalb können Sie gut einschätzen: Welche Aussichten hat Ihre Firma? Bitte malen Sie sich aus, wie sich die Geschäfte in den nächsten zehn Jahren entwickeln werden. Und, was sehen Sie? Einen Aufwärtstrend? Einen Durchmarsch am Markt? Lernfähigkeit und Expansion?
Oder sitzt Ihre Firma auf einem absteigenden Ast? Sind die goldenen Zeiten vorbei? Und wird der Erfolg der Vergangenheit nur noch verwaltet und bröckelt dahin? In einer Firma ohne Zukunft werden Sie von den Fakten überholt: Hier schwinden die Budgets, hier fallen Stellen weg, hier herrscht eine Stimmung wie auf einer Beerdigung.
Darum: Suchen Sie sich eine Firma, der die Zukunft gehört – hier können Sie die nächsten Schritte mitgestalten, neue Herausforderungen finden und Ihre Karriere vorantreiben. Nur eine Firma, die selbst Perspektiven hat, kann Ihnen welche bieten!
( Foto: vadymvdrobot, Fotolia.com)
Martin Wehrle ist Karriere- und Gehaltscoach. Er berät Mitarbeiter aller DAX-Unternehmen und gehört zu den meist zitierten Karriereexperten in Deutschland. In seiner Hamburger Karriereberater-Akademie leitet er die bundesweit erste Ausbildung zum Karrierecoach.