Wenn Führungskräfte nicht richtig führen
Wenn Mitarbeiter neue Aufgaben übernehmen benötigen sie Unterstützung der Vorgesetzten. Der Alltag sieht leider anders aus, weil viele Führungskräfte das Anleiten der Mitarbeiter nicht zu ihren Kernaufgaben zählen. Ein Fehler.
Führungskraft Müller erteilt Mitarbeiter Wagner eine neue Aufgabe – zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Oder eine neue IT-Lösung zum Bearbeiten von Kundenanfragen zu entwickeln. Kurz unterhalten sich Müller und Wagner darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in zwei Monaten 50 Kunden für das neue Produkt zu finden oder die Bearbeitungszeit für Kundenanfragen um ein Viertel zu senken.
Mitarbeiter fordern, aber nicht überfordern
Dann kehrt Führungskraft Müller an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich anderen Aufgaben. Entspannt. Denn Mitarbeiter Wagner hat in der Vergangenheit schon oft bewiesen, dass man auf ihn bauen kann.
Wochen oder gar Monate gehen so ins Land. Und immer wieder fragt Führungskraft Müller Herrn Wagner, wenn er ihn trifft: "Wie läuft's?" Dessen Antwort: "bestens". Oder: "Es geht voran." Also fragt Müller nicht nach. Denn er ist überzeugt: Der Wagner hat die Angelegenheit im Griff.
Mitarbeiter beim Lösen der Aufgabe anleiten
Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe erledigt und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Zunehmend macht sich bei Wagner Nervosität breit. Immer häufiger erzählt er von "Problemen, die sich ergaben". Und eine Woche, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er seinem Chef: "Ich schaffe es nicht". Der fragt entsetzt: "Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir noch gegensteuern können." Dafür ist es nun zu spät.
Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Die Hauptverantwortung trägt aber die Führungskraft. Denn sie lotete nicht aus: Findet Wagner alleine einen geeigneten Lösungsweg oder braucht er Unterstützung? Also konnte Müller diese seinem Mitarbeiter auch nicht gewähren.
Kernaufgabe von Führungskräften
Die Führungskraft überprüfte zwischenzeitlich auch nicht, ob sich ihr Mitarbeiter noch "auf Kurs" befand, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine Kernaufgabe jeder Führungskraft nicht wahr, nämlich ihre Mitarbeiter bei deren Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt.
Anleiten ist heute vielfach verpönt. Denn Anleiten wird oft mit Anweisen gleichgesetzt. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle zu erteilen, sondern ihnen die nötigen Hilfen zu geben. Und Unterstützung und Begleitung brauchen nicht nur Azubis, sondern auch erfahrene Arbeitskräfte – zumindest bei Aufgaben, mit deren Lösung sie noch keine oder wenig Erfahrung haben. Das ist Führungsaufgabe.
Den Weg zum Erfolg aufzeigen
Ein Beispiel:
Kundenbetreuer Mayer aus dem Innendienst soll künftig im Außendienst Neukunden akquirieren. Es genügt nicht, dass sein Chef - Vertriebsleiter Müller - ihm sagt "Herr Mayer machen sie das mal" und ihm noch das Ziel gibt: "Bis Ende Juni müssen sie zehn Neukunden haben". Dann ist nicht sicher gestellt, dass Mayer seine das Ziel erreicht. Den Chef kann das im Extremfall sogar den Job kosten. Denn auch seine Leistung hängt von der Leistung seiner Mitarbeiter ab.
Was sollte Vertriebsleiter Müller also tun? Er sollte, wenn er seinem Mitarbeiter die neue Aufgabe überträgt, sich mit ihm zusammensetzen und erarbeiten:
- Wie kann das vorgegebene Ziel erreicht werden?
- Welche Maßnahmen sind hierfür nötig?
- Welche Unterstützung braucht Mitarbeiter Mayer?
Das Ergebnis könnte sein: Wenn wir bis Ende Juni zehn Neukunden gewinnen möchten, müssen wir bis Ende April mindestens 100 Unternehmen anrufen und ermitteln, ob bei ihnen grundsätzlich ein Bedarf für unsere Leistung besteht. Von ihnen sagen voraussichtlich circa 25: Ja. Mit diesen 25 potenziellen Kunden müssen wir bis Ende Mai persönliche Gespräche führen und ihnen individuelle Angebote unterbreiten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Ende Juni Aufträge von zehn Neukunden haben.
Sind der Weg zum Ziel "zehn Neukunden" und die Etappenziele fixiert, kann daraus abgeleitet werden:
- Welche Teilaufgaben ergeben sich
- welche Unterstützung fachlicher, personeller sowie motivationaler Art braucht Mayer?
Am Ball bleiben, analysieren, helfen
Damit ist es für den Chef aber nicht getan. Auch in der Folgezeit, sollte er sich nach dem Stand der Dinge erkundigen und eventuell helfen nachzukorrigieren. Durch die gemeinsame Analyse, warum gewisse Vorgehensweisen funktionieren und andere nicht, gewinnt der Mitarbeiter auch Erfahrung, geeignete Lösungswege zu entwerfen.
So können Führungskräfte sicherstellen, dass die Mitarbeiter ihre Ziele erreichen. Und nicht nur das. Sie sorgen auch dafür, dass Mitarbeiter neue Fähigkeiten lernen und Erfahrungen sammeln, um künftig eigenständig Aufgaben zu lösen. DDiese kann er auf andere Aufgaben übertragen.
Hubert Hölzl ist Inhaber des Trainings- und Beratungsunternehmens Hölzl & Partner, das vorrangig für produzierende Unternehmen arbeitet. www.fuehrungstrainer.net